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„Open“ ist eine Haltung: Wie Lehrkräfte mit OER umgehen

Offene Bildungsressourcen (OER) versprechen weit mehr als den bloßen Zugang zu Unterrichtsmaterialien. Neben der unkomplizierten Verfügbarkeit von Arbeitsblättern, Präsentationen oder Schaubildern verkörpern sie eine bildungstheoretische Vision, die auf Kollaboration, Offenheit und Bildungsgerechtigkeit zielt.

Empirische Studien (Baas et al. 2022; Buntins et al. 2024; Admiraal 2022) zeigen jedoch, dass zwischen diesem Anspruch und der Realität schulischer wie hochschulischer Praxis erhebliche Spannungen bestehen. Gerade diese Diskrepanz verweist auf das Potenzial von OER, einen kulturellen Wandel in der Bildung zu initiieren.

Eine Frage der Ressourcen

Lehrpersonen und Hochschuldozierende greifen bei der Vorbereitung von Unterricht oder Seminaren überwiegend auf institutionell bereitgestellte Materialien oder Suchergebnisse aus dem Internet zurück. Die gezielte Recherche nach OER bleibt selten und ist weniger Ausdruck bewusster Ablehnung als mangelnder Bekanntheit. Wird geeignetes Material gefunden, spielt die ausgewiesene Lizenz meist nur eine untergeordnete Rolle. Viele Lehrende teilen ihre eigenen Materialien zudem ohne offene Lizenz, sodass automatisch die Restriktionen des Urheberrechts greifen häufig ohne Bewusstsein für die damit verbundenen Implikationen (Buntins et al. 2024).

Admiraal (2022) spricht in diesem Zusammenhang von einer „verborgenen Nutzung“: Lehrkräfte greifen auf Materialien zurück, die sie online finden oder von Kolleg:innen erhalten, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass es sich um OER handelt. In der Regel verbleibt die Nutzung im Bereich individuellen Konsums oder kleiner Anpassungen. Der Schritt zur aktiven, öffentlichen Gestaltung und Weiterentwicklung von OER bleibt die Ausnahme obgleich gerade hier das Potenzial für eine Veränderung der Lehr- und Lernkultur liegt (Littlejohn & Hood 2017).

Qualität als Schlüssel

Ob OER tatsächlich genutzt werden, hängt wesentlich von der Wahrnehmung ihrer Qualität ab. Lehrkräfte beurteilen Materialien vor allem nach ihrer Passung zum eigenen Unterrichtsstil, zu spezifischen Lernzielen und zum schulischen Kontext (Admiraal 2022). Qualität erscheint damit weniger als universale Eigenschaft, sondern als relationale Kategorie, die Aktualität, Anschlussfähigkeit und didaktische Relevanz umfasst. Offenheit im Sinne der Lizenzierung ist zwar eine notwendige Bedingung für Nachnutzung und Weitergabe, wird jedoch selten als eigener Qualitätsmaßstab wahrgenommen.

Barrieren und blinde Flecken

Die Forschung verweist auf strukturelle Hemmnisse, die einer breiteren OER-Nutzung entgegenstehen. Lehrkräfte beklagen die begrenzte Sichtbarkeit und Auffindbarkeit qualitativ geeigneter Materialien (Baas et al. 2022). Hinzu kommen unzureichende institutionelle Unterstützungsstrukturen sowie rechtliche und technische Unsicherheiten, insbesondere im Umgang mit offenen Lizenzen und der Integration in bestehende Curricula. Selbst erfahrene OER-Nutzende berichten von Lizenzunsicherheiten (Admiraal 2022). Diese Faktoren verdeutlichen, dass es für eine nachhaltige Verankerung offener Bildungspraktiken infrastruktureller wie kultureller Veränderungen bedarf.

Von der Ressource zur offenen Praxis

OER entfalten ihr transformatives Potenzial erst, wenn sie nicht lediglich als konsumierbare Materialien verstanden, sondern in offene Bildungspraktiken eingebettet werden: in Prozesse der Adaption, Weiterentwicklung, Veröffentlichung und kooperativen Gestaltung. Die Studien von Buntins et al. (2024) und Admiraal (2022) zeigen jedoch, dass Lehrkräfte OER bislang überwiegend adaptieren oder rezipieren, während eigenständige Produktion und kollaborative Entwicklung marginal bleiben. Auch das Teilen erfolgt meist innerhalb vertrauter schulischer Netzwerke, während öffentliche Plattformen selten genutzt werden.

Gerade hierin liegt die Chance: Werden Lehrkräfte systematisch in offenen Praktiken unterstützt durch rechtliche Orientierung, niedrigschwellige technische Lösungen und kollaborative Entwicklungsformate können OER zu Motoren einer innovationsorientierten Bildungskultur werden. Baas et al. (2022) betonen, dass kollaborative Prozesse nicht nur Materialien verbessern, sondern auch Perspektivenvielfalt integrieren und Qualitätsmaßstäbe gemeinsam aushandeln. Dies verändert zugleich die professionelle Selbstwahrnehmung von Lehrkräften von Materialnutzenden hin zu Ko-Produzent:innen und Qualitätsgestalter:innen (Admiraal 2022).

Offenheit als Kulturwandel: Religionspädagogische Perspektiven

Nachhaltige OER-Integration erfordert einen Paradigmenwechsel: Offenheit muss als professionelle Norm etabliert und durch institutionelle Anerkennung, infrastrukturelle Rahmenbedingungen sowie gezielte Kompetenzentwicklung gestützt werden. Offenheit ist kein Automatismus, sondern eine Haltung, die z.B. in Workshops und Fortbildungen erlernt und eingeübt werden muss.

Gerade in der Religionspädagogik eröffnen OER besondere Handlungsräume:

  • Kontextualisierte Materialien: flexible Anpassung an konfessionelle, interreligiöse oder pluralitätsorientierte Unterrichtskontexte
  • Kollaborative Entwicklung: gemeinsame Erstellung und Pflege religionspädagogischer Materialien, z. B. auf Plattformen wie rpi-virtuell
  • Partizipative Lernprozesse: Einbindung von Lernenden in die Materialentwicklung, etwa durch Erklärvideos oder Glossare

In diesem Sinn ist open keine rein technische oder rechtliche Kategorie, sondern eine pädagogische Haltung und damit ein Bekenntnis zu einer Bildungskultur, die Teilhabe nicht nur ermöglicht, sondern als grundlegendes Prinzip begreift. Werden Materialien von vornherein mit Blick auf ihre Veröffentlichung erstellt, erleichtert dies ihre offene Gestaltung. Ziel ist es daher, Lehrpersonen so zu beraten und zu befähigen, dass offene Praktiken integraler Bestandteil ihrer Materialentwicklung werden.

Literatur