WIP: Blogartikel Inklusives Lernen durch OEP #503

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Wirklich inklusives Lernen entsteht erst, wenn Offenheit über den bloßen Zugang hinausgeht und Lernende selbst zu aktiven Mitgestalter:innen ihres Lernprozesses werden. Der Beitrag zeigt, wie Lehrkräfte und Lernende gemeinsam Lernprozesse schaffen können, in denen Vielfalt nicht nur abgebildet, sondern zur Grundlage des Lernens wird. Offenheit wird hier nicht als technisches Schlagwort verstanden, sondern als Haltung, die Bildung gerechter, kreativer und zukunftsfähiger macht.
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- Laura Mößle
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Wirklich inklusives Lernen entsteht erst, wenn Offenheit über den bloßen Zugang hinausgeht und Lernende selbst zu aktiven Mitgestalter:innen ihres Lernprozesses werden. Der Beitrag zeigt, wie Lehrkräfte und Lernende gemeinsam Lernprozesse schaffen können, in denen Vielfalt nicht nur abgebildet, sondern zur Grundlage des Lernens wird. Offenheit wird hier nicht als technisches Schlagwort verstanden, sondern als Haltung, die Bildung gerechter, kreativer und zukunftsfähiger macht.
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tags:
- Inklusives Lernen
- Bildungsziele
- Didaktik
- Open Educational Practices (OEP)
- Open Educational Resources (OER)
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# Offenheit bedeutet mehr als Zugang OER, OEP und die Zukunft inklusiven Lernens
## Von der Illusion der Offenheit
Kostenlose Lehrbücher, frei zugängliche Materialien und offene Lernplattformen scheinen auf den ersten Blick allen Türen zu öffnen. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich: Offenheit allein garantiert noch keine Teilhabe. Ein freies E-Book hilft wenig, wenn Lernende keinen verlässlichen Internetzugang haben, wenn die Inhalte nur eine einseitige Perspektive wiedergeben oder wenn das Material Lernende auf eine passive Konsument:innenrolle reduziert.
Wie können also OER und Open Educational Practices (OEP) wirklich inklusives Lernen ermöglichen? Die Studie von [Bali, Cronin & Jhangiani (2020)](https://doi.org/10.5334/jime.565) liefert wertvolle Perspektiven auf OEP aus sozial-gerechter Perspektive. Auch die Studie von [Pieper, Bierschwale, Sikorová & Vogt (2023)](https://doi.org/10.21240/mpaed/jb20/2023.09.25.X) gibt Aufschluss über zentrale Kriterien für inklusionssensible Bildungsmaterialien. Schauen wir also genauer hin, was es wirklich für inklusives Lernen braucht.
## Chancen von OER: Barrieren senken, Vielfalt sichtbar machen
Inklusion meint im Kontext dieses Beitrags, allen Lernenden unabhängig von Herkunft, finanziellen Ressourcen, Geschlecht, Behinderung, Sprache oder anderen Differenzlinien gleichberechtigte Teilhabe an hochwertiger Bildung zu ermöglichen und in Lehr- und Lernprozessen vielfältige Perspektiven sichtbar zu machen. OER können hier auf mehreren Ebenen ansetzen.
Zunächst stellen OER eine wichtige **ökonomische Entlastung** dar: Offene Lehrbücher und Materialien können verhindern, dass Lernende aus finanziellen Gründen von Bildungszugängen ausgeschlossen werden. Ihr Potenzial reicht jedoch weit darüber hinaus. Nach Einschätzung der UNESCO können OER einen entscheidenden Beitrag zu einer qualitativ hochwertigen, inklusiven, offenen und partizipativen Bildung leisten [(UNESCO 2017)](https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000260762). Ihnen wird daher eine zentrale Rolle bei der Erreichung des vierten Ziels für nachhaltige Entwicklung ([SDG 4](https://17ziele.de/)) zugeschrieben, das den Anspruch formuliert, hochwertige Bildung für alle zu gewährleisten.
Das Kernanliegen von OER besteht nicht nur im rechtssicheren Teilen und Anpassen von Materialien, sondern auch im Aufbau **tragfähiger Infrastrukturen**. Diese ermöglichen es, Lernmaterialien in unterschiedlichen Versionen bereitzustellen, um auf verschiedene Vorkenntnisse und Bedürfnisse einzugehen, Lernziele flexibel zu differenzieren und Bildungsangebote so zu gestalten, dass sie inklusiv und passgenau für die jeweilige Lerngruppe nutzbar sind (vgl. Müller 2016).
Dies bedeutet, dass OER so gestaltet werden können, dass sie **unterschiedliche Niveaus, Sprachen oder kulturelle Hintergründe** einbeziehen können. Vielfalt wird so zum Ausgangspunkt des Lernens. Ein Beispiel dafür sind offene Schulbuchprojekte, wie das *OpenStax*-Programm, das kostenfreie Lehrbücher in verschiedenen Fächern bereitstellt. Sie können übersetzt und didaktisch angepasst werden, z.B. indem Bezüge zu den Lebenswelten der Lernenden eingebaut werden.
Darüber hinaus tragen OER das Potenzial in sich, eine **erhöhte Sensibilität gegenüber diskriminierenden Strukturen** zu fördern. Sie können diese Strukturen jedoch ebenso unreflektiert reproduzieren oder gar verstärken, wenn problematische Inhalte unkritisch weiterverbreitet werden. Die Offenheit von OER eröffnet zwar die Möglichkeit, solche Materialien kritisch zu überarbeiten, kontextsensitiv anzupassen und vielstimmig zu entwickeln, doch dieses Potenzial wird nur ausgeschöpft, wenn Lehrende und Lernende eine **reflektierte, diversitätssensible Haltung** einnehmen. Offene Lizenzen schaffen dafür die rechtliche Grundlage, ersetzen aber nicht die notwendige pädagogische Verantwortung.
## Chancen von OEP: Prozesse öffnen, Teilhabe ermöglichen
Während OER vor allem auf Inhalte zielen, geht es bei OEP um die Frage, *wie* gelernt wird. [Bali, Cronin & Jhangiani (2020)](https://doi.org/10.5334/jime.565) machen deutlich, dass OEP drei Dimensionen umfassen: **(1) Inhalte, (2) Rollenverteilungen und (3) Zielsetzungen**. Offenheit kann bedeuten, Materialien frei zugänglich zu machen. Sie kann aber auch bedeuten, Lernende in die Rolle von Mitgestalter:innen zu bringen oder Praktiken bewusst auf soziale Gerechtigkeit auszurichten. Hier lohnt sich ein genauerer Blick auf die verschiedenen Bereiche:
### 1. Von inhaltszentriert zu prozessorientiert
Viele Praktiken der offenen Bildung setzen zunächst bei Materialien an. Lehrkräfte nutzen oder erstellen offene Lehrbücher, Arbeitsblätter oder Videos. Solche Ansätze sind klar inhaltszentriert, da sie in erster Linie den Zugang zu Ressourcen verbessern.
Der Fokus kann jedoch in Richtung prozessorientierter OEP verschoben werden. Dann geht es nicht nur um Inhalte, sondern um die aktive Beteiligung der Lernenden: „Content-focused OEP may involve the creation, adaptation, or use of OER, while process-focused OEP may involve learners as co-creators of knowledge, engaging them in open networked practices” [(Bali, Cronin & Jhangiani 2020, S. 5)](https://doi.org/10.5334/jime.565). Ähnliche Prinzipien verfolgt auch das Konzept des [Deeper Learning](https://oer.community/going-deep-er-oerf-tagung-2025/), das auf vertieftes, kompetenzorientiertes Lernen und eine starke Einbindung der Lernenden setzt.
Prozessorientierte Praktiken rücken die Lernprozesse ins Zentrum. Beispiele sind kollaborative Annotation, Wikipedia-Edits oder die Gestaltung eigener Domains, bei denen Lernende nicht nur konsumieren, sondern Inhalte mitentwickeln und verbreiten.
Ein anschauliches Beispiel hierfür sind *renewable assignments*. Studierende verfassen Aufgaben, die nicht in Archiven verschwinden, sondern als Ressource für andere nutzbar bleiben. So ensteht eine Sammlung von Prüfungsfragen zu einem offenen Lehrbuch [(vgl. Bali, Cronin & Jhangiani 2020, S. 11)](https://doi.org/10.5334/jime.565). Hier wird sichtbar, wie sich der Schwerpunkt von der Bereitstellung von Inhalten hin zur Gestaltung gemeinsamer Lernprozesse verschieben kann.
### 2. Von lehrkraftzentriert zu lernendenzentriert
Die zweite Dimension betrifft die Frage, wer im Mittelpunkt steht und über Handlungsmacht verfügt. Lehrkraftzentrierte OEP sind dann gegeben, wenn Dozent:innen Materialien auswählen und den Lernenden bereitstellen. Lernendenzentrierte Praktiken verschieben die Agency dagegen zu den Studierenden, die Materialien selbst entwickeln, kritisch reflektieren und öffentlich teilen. Zugleich muss jedoch auch bedacht werden, dass wirksames Lernen oft beides braucht: einleitenden Input durch die Lehrperson und zunehmende Mitgestaltung durch die Lernenden.
Ein Beispiel stellt **kollaborative Annotation** mit Tools wie *Dokieli* dar, einer vollständig offenen Web-Anwendung auf Basis offener Standards (Linked Data, ActivityPub). Anders als proprietäre Lösungen ermöglicht *Dokieli* kollaborative Annotation, Teilen und Diskutieren von Texten, ohne Nutzende an ein geschlossenes Ökosystem zu binden, sodass Lernende kommentieren und gemeinsam Texte diskutieren können. [Bali, Cronin & Jhangiani](https://doi.org/10.5334/jime.565) betonen, dass dadurch „room for different participants, including socially inhibited and marginalized voices, to contribute“ entsteht (2020, S. 20). Hier liegt die Verantwortung für den Lernprozess eindeutig bei den Studierenden, die Inhalte nicht nur konsumieren, sondern selbständig bearbeiten und erweitern, im Unterschied zu rein lehrkraftzentrierten Szenarien wie der Bereitstellung eines offenen Lehrbuchs.
### 3. Von primär pädagogisch zu primär sozial-gerecht motivierten Praktiken
Die dritte Dimension bezieht sich auf die Zielsetzung. OEP können pädagogisch intendiert sein, etwa um Lernende stärker zu aktivieren, kollaborative Prozesse zu fördern oder Reflexionsräume zu eröffnen. Sie können jedoch ebenso explizit auf soziale Gerechtigkeit abzielen: „At one end of this spectrum, OEP is used to enhance learning and teaching, while at the other end, it is oriented primarily towards redressing forms of economic, cultural, or political injustice” [(Bali, Cronin & Jhangiani 2020, S. 6)](https://doi.org/10.5334/jime.565).
Nicht jede offene Praxis ist also automatisch gerecht. Erst wenn Fragen nach Zugang, Repräsentation und Teilhabe bewusst berücksichtigt werden, entfaltet Offenheit ihr Potenzial. Projekte wie **Wikipedia-Edit-a-thons** verdeutlichen dies eindrücklich. Zwar ist Wikipedia grundsätzlich frei zugänglich, doch ihre Inhalte werden nachweislich von weißen, männlichen Autoren dominiert. Edit-a-thons schaffen hier Gegenöffentlichkeiten, indem marginalisierte Perspektiven gezielt eingebracht werden. Solche Initiativen verfolgen das Ziel, Repräsentationslücken zu schließen und Sichtbarkeit herzustellen, und sind damit explizit sozial-gerecht motiviert.
## Kriterien für Inklusionssensibilität: Was Materialien leisten müssen
Wenn es nun doch konkret um die Gestaltung von Materialien geht, stellt sich die Frage nach Kriterien, die für inklusionssensible Bildungsmaterialien beachtet werden müssen. Einen ersten Katalog mit sechs Basiskriterien stellt das Forschungs- und Entwicklungsprojekt **ITM Inklusiv-Transformative Materialien** (20182021) bereit. Ziel dieser Kriterien war es, Qualitätsmaßstäbe für Unterrichtsmaterialien zu erarbeiten, die Inklusion nicht nur im engeren Sinn mit Blick auf Behinderung begreifen, sondern in einem weiten Verständnis von Heterogenität und Differenz berücksichtigen.
[Pieper et al. 2023](https://doi.org/10.21240/mpaed/jb20/2023.09.25.X) entwickelten Basiskriterien im Projekt **DigiLLM** mit Blick auf digitale Kontexte und OER weiter. Dabei kamen Aspekte hinzu, die für offene und digitale Bildung zentral sind, etwa die Frage nach Agency der Lernenden, der kritischen Reflexion digitaler Technologien oder der Transparenz über den gesamten Lebenszyklus von Materialien.
Die folgende Tabelle stellt sechs Basiskriterien sowie ihre digitalen Erweiterungen dar und erläutert, welche Überlegungen jeweils damit verbunden sind.
| Basiskriterium (ITM) | Erweiterung im digitalen Kontext (DigiLLM) | Erklärung |
|-------------------------------|--------------------------------------------|-----------|
| **Individuenbezogene Adaptivität** | Berücksichtigung digitaler Ungleichheiten (z. B. Geräte, Internet, Barrierefreiheit) | Materialien sollen an individuelle Lernbedarfe anschlussfähig sein, etwa durch unterschiedliche Niveaus, Sprachen oder Darstellungsweisen. Im digitalen Kontext umfasst dies zusätzlich die Reflexion struktureller Ungleichheiten beim Zugang zu Endgeräten, Netzen und barrierefreien Formaten. |
| **Umfeldbezogene Adaptivität** | Reflexion digitaler Lernumgebungen, Plattformen und technischer Infrastrukturen | Materialien müssen in unterschiedlichen schulischen, sozialen und kulturellen Kontexten einsetzbar sein. Mit Blick auf digitale Bildung bedeutet dies, auch technische Plattformen, Software-Umgebungen und institutionelle Rahmenbedingungen kritisch einzubeziehen. |
| **Metakognition** | **Self-reflection**: kritischer Umgang mit digitalen Technologien und Fragen von *knowledge equity* | Materialien sollen Lernende dabei unterstützen, ihr eigenes Lernen zu reflektieren. In digitalen Kontexten erweitert sich dies zur kritischen Auseinandersetzung mit Wissensbeständen, Datenpraktiken und Machtverhältnissen im digitalen Raum. |
| **Selbstwirksamkeit** | **Agency**: Lernende als aktive Mitgestaltende | Materialien sollen Lernende ermutigen, ihr Lernen aktiv zu gestalten und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Digital erweitert sich dies zur Agency: Lernende können OER nicht nur nutzen, sondern auch selbst produzieren, anpassen oder bewusste Entscheidungen treffen |
| **Lernstandsüberprüfung** | **Feedback**: Rückmeldungen nicht nur zum Lernstand, sondern auch zum Material selbst | Materialien sollen differenzierte und multimodale Formen der Rückmeldung ermöglichen, die Lernwege sichtbar machen. Im digitalen Kontext wird daraus eine Feedbackkultur, die zusätzlich die Weiterentwicklung der Materialien selbst einschließt, z. B. durch Kommentare, Adaptionen oder Nachnutzungen. |
| **Konzeptionelle Erläuterungen** | **Philosophy**: Transparenz über den gesamten Material-Lebenszyklus | Materialien sollen ihre didaktischen Zielsetzungen und Begründungen transparent machen. In digitalen Kontexten bedeutet dies zudem, offen zu legen, wie Materialien entstehen, verändert und weiterverwendet werden, sodass ihre Entwicklungsgeschichte nachvollziehbar bleibt. |
Diese Kriterien bilden in ihrer Gesamtheit eine Reflexionsfolie für die Gestaltung inklusiver Materialien. Sie zeigen, dass Inklusionssensibilität als Prozess und als Praktik zu verstehen sind, in der Materialien stets auf ihre Passung, ihre Anschlussfähigkeit und ihre Wirkung auf unterschiedliche Lernende hin überprüft und weiterentwickelt werden.
## Offenheit als gelebte Praxis
Offenheit ist somit keine neutrale Kategorie, sondern eine gelebte Praxis. Sie richtet den Blick nicht auf diejenigen, die ohnehin Zugang haben, sondern auf diejenigen, deren Stimmen bisher fehlen. Für Lehrkräfte bedeutet dies, Materialien nicht nur als OER zu teilen, sondern sie gemeinsam mit den Lernenden kritisch zu erarbeiten. Lernende haben so die Möglichkeit, eigene Perspektiven sichtbar zu machen und Bildungsprozesse aktiv mit ihren Perspektiven mitzugestalten.
OER und OEP entfalten ihr Potenzial dort, wo sie Vielfalt nicht nur abbilden, sondern zur Grundlage des Lernens machen. Offenheit ist dann kein leeres Versprechen mehr, sondern gelebte Praxis, die die Zukunft inklusiven Lernens prägen kann.
### Literaturangaben
- Bali, Maha; Cronin, Catherine & Jhangiani, Rajiv S. (2020). Framing Open Educational Practices from a Social Justice Perspective, in: Journal of Interactive Media in Education, 10(1), 112. https://doi.org/10.5334/jime.565
- Müller, Frank J. (2016). Inklusive Open Educational Resources. Wie frei verfügbare Bildungsmaterialien im Umgang mit Heterogenität helfen können, in: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 22, 3844.
- UNESCO (2017). Ljubljana OER Action Plan. Second World Open Educational Resources Congress. Paris: UNESCO. https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000260762
- Pieper, Marlene; Bierschwale, Christoph; Sikorová, Zuzana & Vogt, Michaela (2023). Kriterien für inklusionssensible Bildungsmaterialien und ihre Weiterentwicklung für den digitalen Kontext, in: MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung*, 20 (Jahrbuch Medienpädagogik), 669688. https://doi.org/10.21240/mpaed/jb20/2023.09.25.X

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