diff --git a/Website/content/posts/2025-12-10-Wie-gehen-Lehrpersonen-mit-OER-um/index.md b/Website/content/posts/2025-12-10-Wie-gehen-Lehrpersonen-mit-OER-um/index.md new file mode 100644 index 0000000..665488e --- /dev/null +++ b/Website/content/posts/2025-12-10-Wie-gehen-Lehrpersonen-mit-OER-um/index.md @@ -0,0 +1,117 @@ +--- +#commonMetadata: +'@context': https://schema.org/ +creativeWorkStatus: Published +type: LearningResource +name: >- + 'Open ist eine Haltung: Wie Lehrkräfte mit OER umgehen' +description: >- + OER verkörpern eine Vision von Offenheit, Kollaboration und Bildungsgerechtigkeit, stoßen in der Praxis jedoch häufig noch auf Widerstände. Lehrende suchen selten gezielt nach OER und teilen Materialien oft ohne rechtssichere Kennzeichnung. Wie lässt sich ein bildungskultureller Wandel vollziehen? +license: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de +id: https://oer.community/open-ist-eine-haltung +creator: + - givenName: Laura + familyName: Mößle + id: https://orcid.org/0000-0001-5255-8063 + type: Person + affiliation: + name: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt + id: https://ror.org/04cvxnb49 + type: Organization + - givenName: Paula + familyName: Gregorio + type: Person + affiliation: + name: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt + id: + type: Organization +inLanguage: + - de +about: + - https://w3id.org/kim/hochschulfaechersystematik/n02 + - https://w3id.org/kim/hochschulfaechersystematik/n03 +learningResourceType: + - https://w3id.org/kim/hcrt/text + - https://w3id.org/kim/hcrt/web_page +educationalLevel: + - https://w3id.org/kim/educationalLevel/level_A +datePublished: '2025-12-12' +#staticSiteGenerator: +author: + - Laura Mößle + - Paula Gregorio +title: 'Open ist eine Haltung: Wie Lehrkräfte mit OER umgehen' +cover: + relative: true + image: we-are-open.jpg + hiddenInSingle: false +summary: | + OER verkörpern eine Vision von Offenheit, Kollaboration und Bildungsgerechtigkeit, stoßen in der Praxis jedoch häufig noch auf Widerstände. Lehrende suchen selten gezielt nach OER und teilen Materialien oft ohne rechtssichere Kennzeichnung. Wie lässt sich ein bildungskultureller Wandel vollziehen? +url: open-ist-eine-haltung +tags: + - Open Educational Resources (OER) + - Open Educational Practices (OEP) + - Creative Commons + - Rechtsfragen + - Lizenzen + - Religionspädagogik + - Haltung + +--- + +# *Open* ist eine Haltung: Wie Lehrkräfte mit OER umgehen + +OER versprechen weit mehr als den bloßen Zugang zu Unterrichtsmaterialien. Neben der unkomplizierten Verfügbarkeit von Arbeitsblättern, Präsentationen oder Schaubildern verkörpern sie eine bildungstheoretische Vision, die auf *Kollaboration*, *Offenheit* und *Bildungsgerechtigkeit* zielt. + +Empirische Studien ([Baas et al. 2022](https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1096751622000136?via%3Dihub); [Buntins et al. 2024](https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2024.01.10.X); [Admiraal 2022](https://www.researchgate.net/publication/350954901_A_Typology_of_Educators_Using_Open_Educational_Resources_for_Teaching)) zeigen jedoch, dass zwischen diesem Anspruch und der Realität in der Praxis von Schulen und Hochschulen erhebliche Spannungen bestehen. Gerade diese Diskrepanz verweist auf das Potenzial von OER, einen *kulturellen Wandel* in der Bildung zu initiieren. + +## Eine Frage der Ressourcen + +Lehrpersonen und Hochschuldozierende greifen bei der Vorbereitung von Unterricht oder Seminaren überwiegend auf institutionell bereitgestellte Materialien oder Suchergebnisse aus dem Internet zurück. Eine gezielte Suche nach OER kommt nur selten vor und ist weniger Ausdruck bewusster Ablehnung als mangelnder Bekanntheit. Wird geeignetes Material gefunden, spielt die ausgewiesene Lizenz für sie meist nur eine untergeordnete Rolle. + +Viele Lehrende teilen eigene, selbst erstellte Materialien zwar bereitwillig mit Dritten, jedoch ohne ausgewiesene Lizenz, sodass automatisch die Restriktionen des Urheberrechts greifen. Die damit verbundenen Implikationen sind den meisten Lehrenden in der Regel nicht bewusst ([vgl. Buntins et al. 2024](https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2024.01.10.X)). + +[Admiraal (2022)](https://www.researchgate.net/publication/350954901_A_Typology_of_Educators_Using_Open_Educational_Resources_for_Teaching) spricht in diesem Zusammenhang von einer *verborgenen* Nutzung. Lehrkräfte greifen auf Materialien zurück, die sie online finden oder von Kolleg:innen erhalten, ohne sich genauer mit den rechtlichen Vorgaben für die Nutzung und Verbreitung auseinanderzusetzen. +Treffen sie zufällig auf OER, ist ihnen das meist gar nicht bewusst. In der Regel verbleibt die Nutzung im Bereich individuellen Konsums oder kleiner Anpassungen für eine unterrichtliche Anpassung. Der Schritt zur aktiven, öffentlichen Gestaltung und Weiterentwicklung von OER bleibt bei den meisten Lehrenden die Ausnahme, obgleich gerade hier das Potenzial für eine Veränderung der Lehr- und Lernkultur liegt ([vgl. Littlejohn & Hood 2017](https://doi.org/10.1016/j.compedu.2017.02.009)). + +## Didaktische Passung als Schlüssel + +Ob OER tatsächlich genutzt werden, hängt wesentlich von der Wahrnehmung ihrer *Qualität* im Verhältnis zum eigenen Unterricht ab. [Admiraal 2022](https://www.researchgate.net/publication/350954901_A_Typology_of_Educators_Using_Open_Educational_Resources_for_Teaching) hebt hervor, dass sich die zentralen Herausforderungen der Lehrkräfte bei der OER-Nutzung darauf beziehen, geeignete, qualitativ hochwertige und zugleich kontextrelevante Materialien zu finden. +Die Qualitätswahrnehmung erfolgt keineswegs abstrakt, sondern in enger Verbindung zum jeweiligen Schul- und Unterrichtskontext. + Materialien müssen anschlussfähig an den eigenen Unterrichtsstil und die spezifischen Lernziele sein. Insofern ist Qualität für Lehrpersonen weniger eine universale Eigenschaft der OER, sondern eine *relationale Kategorie*, die sich aus Passung, Aktualität und situativer Relevanz ergibt. Offenheit im Sinne der Lizenzierung ist dabei ein wesentlicher Ermöglichungsfaktor, sie wird jedoch nicht als Selbstzweck wahrgenommen, sondern tritt hinter die Frage zurück, ob ein Material didaktisch sinnvoll einsetzbar und für die konkrete Lerngruppe geeignet ist. + + +## Barrieren und blinde Flecken + +Studien verweisen zunehmend auf strukturelle Hemmnisse als zentrale Ursache für die bislang eingeschränkte Nutzung von OER. [Baas et al. (2022)](https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1096751622000136?via%3Dihub) zeigen, dass Lehrende insbesondere mit der begrenzten Sichtbarkeit und Auffindbarkeit qualitativ geeigneter Materialien konfrontiert sind, da relevante und aktuelle Ressourcen häufig schwer zugänglich sind. + +Darüber hinaus mangelt es weitestgehend noch immer an einer systematischen institutionellen Unterstützung. Fortbestehende rechtliche und technische Unsicherheiten, etwa im Hinblick auf offene Lizenzen und Fragen der Implementierung in bestehende Curricula, stellen eine Hürde für Lehrende dar. Diese Bedingungen hemmen nach wie vor die nachhaltige Integration offener Bildungsressourcen in den Schul- und Hochschulkontext. Selbst unter erfahrenen OER-Nutzenden herrschen noch immer Lizenzunsicherheiten vor (vgl. [Admiraal 2022](https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1096751622000136?via%3Dihub)). + +## Von der Ressource zur offenen Praxis + +OER entfalten ihr transformatives Potenzial erst, wenn sie nicht lediglich als konsumierbare Materialien verstanden, sondern in *offene Bildungspraktiken*, sog. *Open Educational Practices* (OEP), eingebettet werden. Damit sind z.B. Prozesse der Adaption, Weiterentwicklung, Veröffentlichung und kooperativen Gestaltung gemeint. Die Studien von [Buntins et al. (2024)](https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2024.01.10.X) und [Admiraal (2022)](https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1096751622000136?via%3Dihub) zeigen jedoch, dass Lehrkräfte OER bislang, wenn sie diese überhaupt nutzen, überwiegend adaptieren oder rezipieren, während eigenständige Produktion und kollaborative Entwicklung marginal bleiben. Insbesondere das Teilen erfolgt meist innerhalb vertrauter schulischer Netzwerke, während öffentliche Plattformen (aufgrund fehlender rechtlicher Kenntnisse) nur selten genutzt werden. + +Gerade hierin liegt jedoch eine Chance. Werden Lehrkräfte in offenen Praktiken unterstützt, z.B. durch rechtliche Orientierung, niedrigschwellige technische Lösungen und kollaborative Formate, können OER zu *Motoren einer innovationsorientierten Bildungskultur* werden. +[Baas et al. (2022)](https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1096751622000136?via%3Dihub) betonen, dass kollaborative Prozesse nicht nur Materialien verbessern, sondern auch Perspektivenvielfalt integrieren und die gemeinsame Aushandlung von Qualitätsmaßstäben fördern. Dies verändert zugleich die professionelle Selbstwahrnehmung von Lehrkräften, von Materialnutzenden hin zu *Ko-Produzent:innen und Qualitätsgestalter:innen*. + +## Offenheit als Kulturwandel: Religionspädagogische Perspektiven + +Warum kann sich eine Auseinandersetzung mit OER - trotz der aufgezeigten Hindernisse - besonders für Lehrende lohnen? Was rechtfertigt den zusätzlichen Aufwand ihrer Erstellung für die Lehrpraxis? Aus *religionspädagogischer Sicht* bieten OER Chancen auf unterschiedlichen Ebenen. Sie eröffnen sowohl didaktische als auch strukturelle Handlungsräume, die über traditionelle Materialien hinausgehen und für die religionspädagogische Arbeit gewinnbringend sein können. Zum Beispiel: + +1. **Kontextualisierte Materialien**: OER können passgenau auf die jeweilige Zielgruppe, den religiös pluralen Kontext und spezifische Lernbedarfe für schulische, außerschulische oder hochschulische Bildung zugeschnitten werden. +2. **Kollaborative Entwicklung**: Offene Plattformen wie das [relilab](https://relilab.org) ermöglichen die gemeinschaftliche Erstellung und Weiterentwicklung religionspädagogischer Materialien über Institutions- und Konfessionsgrenzen hinweg. Hier stehen niedrigschwellige Räume bereit, in denen Bildungsmaterialien ökumenisch und interreligiös entwickelt und im Austausch stetig verbessert werden können. +3. **Partizipative Lernprozesse**: Die aktive Einbindung von Lernenden in die Materialentwicklung setzt die zentrale religionsdidaktische Perspektve der Subjektorientierung ganz konkret um. Lernende werden nicht als Rezipient:innen, sondern als Gestaltende ihres eigenen Bildungsprozesses wahr- und ernstgenommen. Die Subjektorientierung als konstitutives Prinzip religiöser Bildung betrachtet Lernende als aktive Subjekte mit eigener Deutungs- und Handlungskompetenz. Durch partizipative Lernprozesse, die durch OEP unterstützt werden, werden Lernende in das Zentrum religiöser Bildungsprozesse gerückt. +4. **Machtsensible Gestaltung**: Das kollaborative Erstellen von OER eröffnet vielfältigen Stimmen Raum und trägt dazu bei, unterschiedliche Perspektiven auf einen religiösen Lerngegenstand sichtbar zu machen. Dies lässt sich fruchtbar mit ideologiekritischer Religionspädagogik verbinden, die Vielfalt ernst nimmt, Machtstrukturen kritisch reflektiert und religiöse Bildung als bewusst gestalteten Reflexionsprozess versteht. Offene Bildungspraktiken unterstützen Lernende dabei, Materialien kritisch zu hinterfragen und eigene, machtsensible Bildungsmaterialien einzubringen. +5. **Aktualität**: Durch ihre Offenheit lassen sich OER fortlaufend an neue Kontexte anpassen. Dies umfasst sowohl veränderte bildungstheoretische Ansätze und länderspezifische Lehrpläne als auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und kirchenpolitische Fragestellungen. So bleiben die Materialien relevant und anschlussfähig an gegenwärtige Diskurse. + +Eine nachhaltige Integration von offenen Bildungspraktiken in die religionspädagogische Landschaft erfordert einen Paradigmenwechsel. Offenheit ist eine *Haltung*, die z.B. in Workshops und Fortbildungen erlernt und eingeübt werden kann. In diesem Sinn ist *open* keine rein technische oder rechtliche Kategorie, sondern eine *pädagogische Haltung* und damit ein Bekenntnis zu einer Bildungskultur, die Teilhabe nicht nur ermöglicht, sondern als grundlegendes Prinzip begreift. +Besonders in der Religionspädagogik knüpft diese Offenheit an das christliche Bildungsverständnis an. Wissen ist kein zu hütender Schatz, den man verbergen sollte, sondern etwas, das „überfließend“ geteilt werden darf, um andere zu unterstützen und in ihrer Entwicklung zu fördern. +Ein langfristiges Ziel in Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten muss es also sein, Lehrende darin zu unterstützen, offene Praktiken als Bestandteil ihrer Lehrpraxis und ihres Bildungsauftrags zu gestalten. + +## Literaturangaben + +* [Admiraal, W. (2022). *A typology of educators using Open Educational Resources for teaching*. International Journal on Studies in Education 4 (1), 1–23](https://www.researchgate.net/publication/350954901_A_Typology_of_Educators_Using_Open_Educational_Resources_for_Teaching). +* [Baas, M.; Van der Rijst, R.; Huizinga, T.; van der Berg, E.; Admiraal, W. (2022). *Would you use them? A qualitative study on teachers' assessments of open educational resources in higher education*. The Internet and Higher Education 54, 1–14](https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1096751622000136?via%3Dihub). +* [Buntins, K., Diekmann, D., Klar, M., Rittberger, M., Kerres, M. (2024). «Material teilen? Praktiken der Entwicklung und Nutzung digitaler Unterrichtsmaterialien von Lehrpersonen an Schulen in Deutschland». MedienPädagogik (Occasional Papers): 1–33](https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2024.01.10.X). +* [Littlejohn, A. & Hood, N. (2017). *How educators build knowledge and expand their practice: The case of open educational resources*. British Journal of Educational Technology 48 (2), 499–510. doi:10.1111/bjet.12438](https://doi.org/10.1111/bjet.12438). + diff --git a/Website/content/posts/2025-12-10-Wie-gehen-Lehrpersonen-mit-OER-um/we-are-open.jpg b/Website/content/posts/2025-12-10-Wie-gehen-Lehrpersonen-mit-OER-um/we-are-open.jpg new file mode 100644 index 0000000..03bfd24 Binary files /dev/null and b/Website/content/posts/2025-12-10-Wie-gehen-Lehrpersonen-mit-OER-um/we-are-open.jpg differ