Website/content/posts/2026-01-10-Kirchliche-Mitsprache-vs-open?/index.md hinzugefügt

This commit is contained in:
Laura M 2025-08-21 12:36:18 +00:00
parent a6648d1e43
commit 0a92cd3839

View file

@ -0,0 +1,56 @@
# Kirchliche Mitsprache bei Schulbüchern vs. freie Entwicklung von OER?!
# Kontrast zweier Welten
Die Realität der religionspädagogischen Materialentwicklung lässt sich in einem markanten Kontrastbild beschreiben:
Auf der einen Seite befinden sich kirchlich geprüfte Unterrichtswerke, die meist in Form von Schulbüchern vorliegen. Sie entstehen in enger Kooperation von ausgewählten Autor:innen, kirchlichen Aufsichtsstellen und staatlicher Kulutsbehöre.
Auf der anderen Seite stehen offene digitale Bildungsmedien (OER), die von Lehrkräften, Praktiker:innen, Wissenschaftler:innen oder Multiplikator:innen erstellt und über Plattformen wie *rpi-virtuell* verbreitet werden. Sie liegen in Form von Arbeitsblättern, Podcasts, Grafiken oder Workshopsreihen vor, können frei heruntergeladen, unmittelbar angepasst und in unterschiedlichen Kontexten neu eingesetzt werden.
Es sind zwei Welten, die unterschiedlichen Logiken folgen und doch beide für religiöse Bildungsprozesse von zentraler Bedeutung sind.
## Die Entstehung und Genehmigung kirchlicher Schulbücher
Die Entwicklung katholischer Religionsbücher folgt einem hoch formalisierten Verfahren, das von mehreren Akteursgruppen getragen wird:
(1) Die Autor:innen, Herausgeber:innen und Verlage verfassen die Manuskripte, die anschließend durch (2) kirchliche Zulassungsbehörden und (3) staatliche Kultusbehören geprüft werden. Damit soll gewährleistet sein, dass theologische Korrektheit, didaktische Qualität und rechtliche Vorgaben in den Lehrwerken gleichermaßen erfüllt sind.
Kirchenrechtlich ist festgelegt, dass Religionsbücher der Genehmigung durch die zuständige kirchliche Autorität bedürfen ([c. 827 § 2 CIC](https://www.codex-iuris-canonici.de/cic83_dt_buch3.htm)).
Die einschlägige [Verfahrensordnung der Deutschen Bischofskonferenz](https://recht.drs.de/fileadmin/user_files/117/Dokumente/Rechtsdokumentation/3/4/1/02_11_01.pdf) aus dem Jahr 2002 präzisiert diesen Prozess: Zunächst erfolgt eine Begutachtung die von der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Schulbuchkommission (Art. 3 Abs. 1).
Darüber ist von kirchlicher Seite vorgesehen, dass Autor:innen des Lehrwerkes im Besitz der **Missio Canonica** sind oder, sofern diese fehlt, eine zustimmende Erklärung des zuständigen Diözesanbischofs vorlegen (Art. 5).
Diese Regelung gilt für alle an einem Werk Beteiligten. Erst nach erfolgreicher Prüfung erteilt der Diözesanbischof die Druckerlaubnis, die im Imprimatur sichtbar wird.
Neben der kirchlichen Zulassung ist die staatliche Kultusbehörde eine weitere Akteurin der Qualitätssicherung. Sie prüft die Vereinbarkeit mit den schulrechtlichen Rahmenbedingungen und den jeweiligen Lehrplänen der Länder sowie die Übereinstimmung des Lehrwerkes mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Prüfung fachwissenschaftlicher wie fachdidaktischer Aspekte überlässt die Behörde weitgehend den Religionsgemeinschaften.
Die Schulbuchgenehmigung orientiert sich also sowohl an der kirchlichen Autorität, die ausgewiesene theologische Fundierung und Einheit prüft, als auch am Staat, der rechtliche Standards und Bildungsziele in Lehrmitteln gewährleistet.
## Verbindlichkeit und Grenzen von Genehmigungsverfahren
Porzelt (2023) beschreibt in seinem Artikel zum Genehmigungsverfahren eines katholischen Religionsbuches diese doppelte Bindung als Ausdruck eines grundlegenden Spannungsfeldes. Religiöse Bildung ist stets zweifach bestimmt: Einerseits steht sie unter dem kirchlichen Mandat, das normative Leitlinien vorgibt, andererseits unter den Prinzipien der öffentlichen Schule, die Glaubensfreiheit und Lernendenautonomie garantieren. Schulbücher beanspruchen daher eine besondere Verbindlichkeit, können aber gerade dadurch Pluralität und Vielfalt nur eingeschränkt abbilden.
Porzelt verweist zudem auf die Gefahr, dass durch ein zu stark normiertes Zulassungsverfahren die Lebendigkeit religiöser Bildung eingeschränkt werde. Wenn religiöse Ausdrucksformen oder gesellschaftlich relevante Themen nur am Rande vorkommen, wird das Bildungsangebot leicht in Richtung eines „kanonisch abgesicherten“ Wissens verengt. Damit geht die Herausforderung einher, die Balance zu finden zwischen der notwendigen Autorität, die kirchliche Identität wahrt, und der didaktischen Offenheit, die der Heterogenität heutiger Schüler:innenschaften gerecht wird.
## Entstehung und Qualitätsprozesse von OER
Demgegenüber entstehen OER in deutlich offeneren Strukturen. Sie werden von Personen entwickelt, die sich für Bildung begeistern, das sind mit unter Lehrkräfte, Wissenschaftler:innen oder Multiplikator:innen von Fort- und Weiterbildungsangeboten. OER werden meist auf digitalen Plattformen wie z.B. orca.nrw, twillo oder speziell für religiöse Bildungsprozesse rpi-virtuell eingestellt und verbreitet.
Charakteristisch für OER ist ihre Adaption und Nachnutzbarkeit. Durch offene Creative Commons-Lizenzen können die Materialien frei heruntergeladen, verändert, an spezifische Kontexte angepasst und neu publiziert werden.
Die Qualitätssicherung vollzieht sich hier nicht durch ein zentrales Genehmigungsverfahren, sondern in dynamischen Prozessen kollaborativer Aushandlung. Nutzer:innen prüfen die Materialien im praktischen Einsatz, geben Feedback über Kommentarspalten oder in digitalen Austauschrunden, passen die Materialien an ihre Lerngruppen an und entwickeln sie weiter.
Evaluation, Adaption und iterative Überarbeitung werden so selbst zu Instrumenten der Qualitätssicherung. OER sind somit keine statisch abgeschlossenen Produkte, sondern kontinuierlich erweiterbar im „Work in Progress“.
Diese Offenheit ermöglicht ein hohes Maß an Partizipation, Kreativität und Aktualität, sie birgt jedoch auch Risiken gewisse Risiken.
Ohne institutionelle Autorisierung können theologische Maßstäbe verschwimmen und die Sicherung inhaltlicher Standards hängt stark von der aktiven Mitwirkung der Community ab.
## Diskussion: Zwischen normativer Verbindlichkeit und partizipativer Offenheit
Die Gegenüberstellung verdeutlicht zwei Modelle der Qualitätsentwicklung, die jeweils eigene Logiken repräsentieren.
Kirchliche Schulbücher gewährleisten theologische Klarheit und institutionelle Verbindlichkeit durch ein hierarchisch organisiertes Genehmigungsverfahren.
OER entfalten ihre Qualität dagegen im Modus der Offenheit. Sie leben von Partizipation, Adaptierbarkeit und der dynamischen Weiterentwicklung durch Praktker:innen.
Sowohl der kirchliche als auch der staatliche Ansatz besitzen Stärken und Schwächen. Kirchliche Verfahren sichern Verlässlichkeit, können jedoch nach Porzelt (2023)innovationshemmend sein.
OER eröffnen neue Räume für Partizipation und kontextuelle Passung, sind jedoch anfällig für Beliebigkeit und den Verlust theologischer Tiefe. Die Herausforderung für die religionspädagogische Praxis besteht darin, diese beiden Ansätze nicht als unvereinbare Gegensätze zu betrachten, sondern sie produktiv miteinander zu verknüpfen.
Eine zukunftsweisende Perspektive könnte darin liegen, kirchliche Expertise in theologischer Reflexion und normativer Orientierung in offene Entwicklungsprozesse einzubringen und zugleich von den partizipativen, adaptiven Praktiken der OER-Communities zu lernen. So könnte eine neue Materialkultur entstehen, die sowohl Verbindlichkeit als auch Offenheit ernst nimmt.
Letztlich bleibt das eingangs skizzierte Bild bestehen. Auf der einen Seite liegt der geordnete Stapel kirchlich autorisierter Schulbücher, auf der anderen Seite die dynamische, vielleicht chaotisch anmutende Vielfalt frei zugänglicher OER.
Doch gerade in dieser Spannung eröffnet sich die Möglichkeit, beide Welten in einen produktiven Dialog zu führen und eine zukunftsfähige Kultur religiöser Bildung zu gestalten, die institutionelle Verantwortung und kreative Offenheit zumindest miteinander ins Gespräch bringt.
Literatur
* Porzelt, B. (2023). Wer bestimmt die Normen des Religionsunterrichts? Die Genehmigung von Religionsbüchern im Fadenkreuz, in: MThZ 74 (2023) 207-216.